
Mein erster Besuch im Atelier von Wilfried Statt in Stahnsdorf bei Berlin war im Sommer 2002. Ich erinnere mich gut – ein wunderbar heller durchlichteter Ort, der großzügig den Blick nach draußen in ein offenes Gartengelände freigab. Überall standen seine Skulpturen, Vögel und menschenähnliche Figuren und Figurinen, Gebilde in Bronze voller Anmut und Grazie. Besonders die Vogel-Gestalten mit ihren wunderbar schimmernden Oberflächen haben mich berührt in ihrer eigenwilligen Geschöpflichkeit. Künstler sind Schöpfer. Der Bildhauer Wilfried Statt mit dem Ordensnamen Raphael ist ein Schöpfer. Alle hier versammelten Arbeiten sind Zeugnisse eines inspirierten Geistes und einer kreativen Hand mit einer ganz eigenen Formensprache. Bronze ist ein schweres Material, es hat sein Gewicht. Aber diese zauberhaften Skulpturen wirken nicht schwer: sie tanzen und schreiten, staksen, tänzeln und hüpfen- mal wirken sie dabei melancholisch, mal witzig und geistreich oder beides. Sie wirken auch kostbar, aber nicht nur wegen des wertvollen Werkstoffes. Die Kostbarkeit dieser künstlerischen Schöpfungen entsteht durch ihre fragile Ästhetik. Sie trumpfen niemals auf, sie sind in sich vollendete Gebilde, die vor allem Autonomie ausstrahlen. Es sind keine Nachbildungen nach der Natur, sie sind wie sie sind, sie messen sich an nichts, es sind Geschöpfe der Imagination und der Freiheit.
Von Alexej Jawlensky, dem berühmten Expressionisten, stammt der wunderbare Satz „Kunst ist Sehnsucht zu Gott“. Frater Raphael bekennt sich zu Gott und zur Kunst auch dann, wenn die Motive auf den ersten Blick nicht religiös sind.
Als wir Frater Raphael noch als Wilfried Statt kannten, war er immer schon an sakralen Orten tätig – keineswegs nur an sakralen Orten, aber doch immer wieder. Zwei seiner an Kirchengebäude unmittelbar angebundene Arbeiten sind ganz unterschiedlicher Art: ein Orgelprospekt in Holz für die Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Hohenschönhausen und ein Tabernakel in Bronze für die St. Martins-Kirche in Berlin-Gropiusstadt. Beiden Arbeiten ist gemeinsam, dass sie sich mit hoher Sensibilität dem ja bereits seit langem existierenden Räumen anpassen, eben auch hier sich nicht vordrängen, sondern als integrale Bestandteile des gesamten Kirchenraumes zur Wirkung kommen, das heißt an der Vollendung des Gesamten teilhaben. Weder der expressive Orgelprospekt aus dem Jahre 2004 noch der durchaus massive Tabernakelkubus aus dem Jahre 2003 drängen sich auf, beide sind von großer gestalterischer Sicherheit und zugleich von Demut geprägt den sakralen Räumen gegenüber, die beide von prominenten Architekten gestaltet worden waren. Es ist nicht leicht, sich an derartigen Vorgaben messen zu müssen – und die Wünsche der kirchlichen Auftraggeber mussten ja auch berücksichtig werden. Frater Raphaels Kunst kann dienen, ohne die eigene Autonomie aufzugeben, sie ist aber auch keine kunsthandwerkliche Kirchenkunst, die man im kirchlichen „Ottoversand“ bestellen kann. Die Reliefs auf dem Tabernakel von St. Martin in Berlin zeigen 3 Szenen: die Einsetzung der Eucharistie durch Christus, die Fußwaschung und Christi Himmelfahrt. Die abstrahierende Formensprache des Künstlers – wie sie auch an den hier versammelten Werken sichtbar wird – ist auf größere Distanzen auch noch lesbar, sie ist dabei unaufdringlich und still. Eine stille Sprache, unaufgeregt und kontemplativ, vielleicht auch ein wenig feierlich. Dies trifft zumindest auf die Darstellung des Letzten Abendmahles zu an der Stirnseite des Tabernakels: mitten in der Schale, die Christus mit ausgestrecktem Arm seinen Jüngern reicht, steckt der Tabernakelschlüssel, Die Abendmahlsszene erschließt sich so auch im übertragenen Sinne, eine sehr sprechende bildkünstlerische Idee.
Frater Raphael kommt aus Berlin, er absolvierte eine Lehre als Stuckateur und ein Studium an der renommierten Kunsthochschule Berlin-Weissensee im Fachgebiet Plastik. Ab 1989 wurde er freischaffender Künstler. Er schuf große Kunstprojekte für den öffentlichen Raum, wie das Otto Lilienthal-Denkmal bei Potsdam im Jahre 1991, Brunnen und Bänke auf dem Marktplatz in Teltow bei Berlin im Jahre 1999, er konzipierte eine neue Kapelle, St. Ewaldi in Duisburg /Laar 2002, schuf eine begehbare Wasserspielskulptur für eine Kindertagesstätte 2003. Er hatte Lehraufträge an der Kunsthochschule in Berlin und an der Kunstschule in Potsdam. Er hat sich für ein Leben als Zisterziensermönch entschieden, das vielleicht auch zu ganz neuen Inspirationen und Wegen im Künstlerischen fuhren wird. „ Kunst ist Sehnsucht zu Gott“, Frater Raphael Statt sagte in einem Interview: „Kunstwerke sind Gebet“ und berief sich damit auch auf ein berühmtes Vorbild, nämlich den italienischen Malermönch Fra Angelico in Florenz. Der wirklich originelle doppeldeutige Titel dieser Ausstellung „Mönch — Statt — Künstler“ spielt mit dem Gedanken an, dass sich Mönch und Künstler eben nicht widersprechen muss, sondern eine fruchtbare Synthese eingehen kann.
Paul Klee schrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seiner „Schöpferischen Konfession“ gleich am Anfang „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder sondern macht sichtbar“. In diesem Sinne ist auch das Relief der Mutter Teresa, dass Frater Raphael hier im Kloster schuf, zu verstehen. Es ist kein fotografisches Abbild dieser großartigen Frau – obwohl durch Fotos inspiriert – sondern es ist ein inneres deutendes Bild mit einem eigenen Ausdruck, sehr schlicht, sehr ernst und ungemein stark. Dies hat der Künstler sichtbar gemacht.
Vor kurzem, am Pfingstsonntagabend, war ein großes Werk von Frater Raphael vollendet. Geweiht wurde es von Abt Gregor Henckel von Donnersmarck, Abt dieser Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz – aber nicht an diesem Ort hier, sondern im Zisterzienserkloster Bochum-Stiepel, einer Tochtergründung. Zusammen mit dem Architekten Hedtfeld gestaltete er den gesamten Altarraum um, entwarf ein neues Chorgestühl, einen Doppelambo, Priestersitz und Sedilien und auch 2 neue farbige Fenster mit den Thema Grabtuch von Turin und Volto Santo – eine Arbeit mit Farbe und Licht. Eine bedeutende Aufgabe, ein gewaltiger Auftrag. Der Herr Abt hat erkannt, daß Wilfried Statt auch als Frater Raphael sein künstlerisches Talent weiter entfalten sollte. Auch hier im Stift Heiligenkreuz bekam er wieder ein wunderschönes helles Atelier. Kunst ist Verkündigung. Die Kirche wußte das schon immer.
Dr. Christine Goetz, Kunstbeauftragte des Erzbistums Berlin, 2. Juni 2007